Dienstag, 28. Februar 2017

Das größere Wunder - Thomas Glavinic

"Nach einer Woche, in der ihn seine Mutter kein einziges Mal besucht hatte, wurde Jonas [aus dem Krankenhaus] entlassen, und von da an änderte sich einiges.
Mike und Jonas wohnten von nun an bei Picco. Jonas bekam das Zimmer neben Werner, das dreimal so groß war wie sein altes, es war sauber, er hatte immer frische Wäsche und sogar neue Hosen, die ihm nicht zu kurz waren, er musste sich nicht allein um sich kümmern, sondern wurde geweckt und bekam Frühstück, Mittagessen, Abendessen.

'Merkt dein Großvater eigentlich, dass Mike nicht so ist wie wir?' fragte Jonas. 'Weiß er, dass es anstrengend werden kann mit ihm?'
'Der findet den normaler als uns, glaube ich.', sagte Werner.
'Und wie lange sollen wir bleiben?'
'Warten wir mal ab. Mir wäre es am liebsten, ihr bleibt für immer.'
'Aber das geht doch gar nicht.'
'Hier geht alles.'" - S. 20



Buchrücken
Auf der rastlosen Suche nach Sinn durchwandert Jonas die Welt, fährt von einer Stadt in die nächste kauft eine verfallene Wohnung in Rom, lässt sich ein Baumhaus bauen und eine ganze Insel einrichten. Bis er Marie trifft.

Gelesen Februar 2017

Jonas, ein überaus sympathischer und spannender Protagonist, blickt auf seiner Expeditionstour auf dem Mount Everest auf sein Leben zurück. Ihm wurde alles genommen, was man einem nehmen kann. Seine rastlose Suche beginnt. Eine Suche, die ich anfangs nicht nachvollziehen konnte.

Am liebsten wollte ich Jonas am Arm packen und ganz fest halten, damit er einmal zur Ruhe kommt.
Ich wollte mich mit ihm zu einer kurzen Rast setzen, den Sonnenuntergang bewundern und so zauberhafte Dialoge führen, wie sie nur ein Thomas Glavinic schaffen kann.


Als Jonas dann auf Marie trifft, endet die Suche für ihn. Und man freut sich enorm für Jonas, der nach so vielen Verlusten endlich angekommen zu sein scheint.

Doch Glück währt nicht ewig. Jonas besteigt den Mount Everest und geht an seine Grenzen. Ich glaubte, geistig dort anwesend zu sein. Ich spürte zwar nichts von dieser grausamen Kälte, die Jonas empfand, oder die körperlichen Strapazen, die ihm immer wieder ans Aufgeben denken ließen. Aber ich spürte die Macht des Berges, die Atmosphäre dort oben. - Und das ist für mich so meisterhaft an diesem Buch. Ich war mit Jonas unterwegs, fieberte, hoffte und freute mich mit ihm, wie schon lange mit keinem Charakter mehr.

Das Buch ist magisch. Man darf sich niemals die Frage stellen, ob das Ganze einen Sinn macht, oder ob das im Buch Beschriebene überhaupt möglich ist. Es ist ein Eintauchen in eine andere Welt, die einem auch nicht mehr loslässt.
"Glaubst du, es gibt Gespenster?" fragte Werner.
"Natürlich gibt es sie."
"Hast du schon mal eines gesehen?"
"Na, das wüsstest du bestimmt."
"Wieso glaubst du dann an sie?"
"Weil es logisch ist, dass es sie gibt, oder etwas, was man so nennen könnte. Wohin soll denn die Energie des Menschen verschwinden? Sie sind alle noch da, irgendwo da draußen, auf die ein oder andere Weise. Spürst du sie nicht?"
"Nein, zum Glück nicht!"
"Solltest du aber, denn sie sind da. Oft spüren wir etwas, einen Schauer, haben ein seltsames Gefühl, sind irriertiert, ohne zu wissen warum. Oder? Kennst du das nicht? Wir sehen Dinge, die nicht das sind, wir haben Ahnungen, und die Dinge sind vielleicht wirklich kurz dagewesen, für einen Sekundenbruchteil nur sichtbar für uns, und die Ahnungen sind mehr, als wir verstehen können, meinst du nicht? Um uns gibt es sicher einiges, das wir nicht sehen und nicht begreifen."
"Hör auf", sagte Werner, "mir wird echt ganz anders."
"Mir ist immer ganz anders." - S. 38

Meine Bewertung






Am meisten beeindruckt hat mich, wie Thomas Glavinic die so authentisch wirkenden Dialoge zwischen seinen Figuren schafft. Man fühlt sich dem Buch so verbunden, als wäre man ein kleiner Teil der Geschichte.
Es hat mir wirklich unheimlich gut gefallen, ich werde es bestimmt immer wieder einmal lesen. Ein neues Lieblingsbuch, das 5 Kirschen mehr als verdient hat!


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Genre: Roman
Verlag: dtv
Seiten: 523
Preis: € 12,30 (A) , € 11,90 (D)
ISBN: 978-3-423-14389-9

1 Kommentar:

  1. Hallo Benedikt!
    Dankeschön, dass du hier bleibst - hab' mich bei dir auch schon umgesehen und bin nun eine deiner Follower. :)
    Liebe Grüße,
    Kerstin

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