Samstag, 15. April 2017

Mrs Dalloway - Virginia Woolf

"Sie hatte die absonderliche Empfindung, unsichtbar zu sein; ungesehen; ungekannt; kein Heiraten mehr, kein Kinderkriegen mehr jetzt, sondern nur noch dieses erstaunliche und beinahe feierliche Fortschreiten mit all den andern, Bond Street hinauf, dieses Mrs Dalloway-Sein; nicht einmal mehr Clarissa; dieses Mrs Richard Dalloway-Sein." - S. 14






Virginia Woolf war eine wichtige Schriftstellerin der klassischen Moderne, vor allem für die zweite/neue Frauenbewegung 1968. Ihr Essay Ein Zimmer für sich allein war für die Mitglieder der Bewegung, die sich aus einer Studentenprotestbewegung in Amerika herausgebildet hat, von großer Wichtigkeit. Kein Werk wurde von ihnen so oft zitiert wie dieses Essay.

Ein ganz unbeschwerte Kindheit hatte die junge Virginia aber nicht. Die Mutter starb früh, sie waren viele Kinder, der Vater wurde von den beiden größten Söhnen bei der Kindererziehung unterstützt. Ein Fehler, denn diese missbrauchten Virginia. Die Folge war eine psychische Erkrankung, die sie einmal mehr, einmal weniger im Leben begleitete. Halt fand sie bei ihrem Ehemann Leonhard Woolf, mit dem sie gemeinsam den Verlag Hogarth Press gründete. Schon allein deshalb ist sie ein Vorbild, da sie sich nicht unterkriegen lies, ihre Ideen vertrat und sich traute, ihre Gedanken aufzuschreiben.


Ihr bedeutendster Roman "Mrs Dalloway" erschien 1925. In dem schmalen Büchlein mit rund 190 Seiten beschreibt Woolf einen Juni-Tag in den 1920er Jahren. Es beginnt mit der Mittelklasse-Frau, Clarissa Dalloway, die sich ins Getümmel der Londoner Straßen begibt, um Blumen zu besorgen. Für ihre Gesellschaft, die sie noch am selben Abend geben würde. Clarissas Gedanken wandern, sie trifft auf Freunde, Bekannte, weniger Bekannte, ihre alte Jugendliebe Peter Walsh taucht plötzlich wieder auf und sie stellt sich die Frage, wer sie ist und was sie sich vom Leben erwartete, beziehungsweise erwartet hatte.

Doch Clarissa ist eine Frau, die das tut, was ihre Umgebung von ihr verlangt. Sie entscheidet stets rational, lässt sich nicht von ihren Gefühlen leiten. Sie möchte die Erwartungen ihrer Mitmenschen nicht nur erfüllen, sondern übertreffen. Das führt dazu, dass sie ein sehr versteifter und eher unsympathischer Charakter ist. Sie verkrampft sich auf diese Gesellschaften, die zu pflegen gibt:
"Merkwürdig, dachte sie, als sie auf dem Treppenabsatz innehielt und diese Diamantgestalt, diese eine Person in sich versammelte, merkwürdig, wie eine Hausfrau genau den Augenblick, genau die Stimmung in ihrem Haus kennt! Schwache Geräusche stiegen in Spiralen das Treppenhaus hoch; das Wischen eines Staubwedels; Pochen; Klopfen; ein lauter Ton, wenn die Haustür geöffnet wurde; eine Stimme, die im Erdgeschoss eine Bestellung wiederholte; das Klirren von Silber auf einem Tablett; geputztem Silber für die Gesellschaft. Alles für die Gesellschaft." - S. 40

Auch die anderen Charaktere, die in unmittelbarer Verbindung zu Clarissas stehen, kommen zu Wort. Besser gesagt, ihre Gedanken. Am Beginn war das (Bewusstseinsstrom genannt) ein wenig verwirrend. Man muss das Buch deshalb sehr aufmerksam lesen, um der Handlung folgen zu können. Denn Kapitel gibt es nicht, die Handlung läuft in einem Rutsch durch.

"Sally, um gerecht zu sein, durchschaute das alles. Eine Sache, an die er sich am besten erinnerte, war ein Streit an einem Sonntagmorgen in Bourton über das Frauenrecht, als Sally plötzlich ihre Beherrschung verlor, aufbrauste und Hugh sagte, er repräsentierte alles, was im Leben der britischen Mittelklasse am verabscheuungswürdigsten sei."         - S. 73/74
Sally, eine Jugendfreundin von Clarissa, gefiel mir deshalb so gut, da sie schon in jungen Jahren einen kritischen Blick auf die Gesellschaft geworfen hat. Doch im Laufe der Geschichte erfährt man, was aus Sally geworden ist. Nichts Schlimmes, keineswegs, aber für mich persönlich doch enttäuschend.

Lady Bruton zeugt schon von einer modernen, unabhängigen Frau. Auch wenn sie sich in manchen Situationen Hilfe von Männern holt, ist sie trotzdem selbstbewusst. Sie kennt ihre Schwächen, weiß ihre Stärken dafür aber noch um einiges besser einzusetzen:
"Aber sie musste schreiben. Und ein Brief an die Times, pflegte sie zu Miss Brush zu sagen, strenge sie mehr an, als eine Expedition nach Südafrika zu organisieren (was sie während des Krieges getan hatte). Nach einem solchen Kampf am Morgen, anfangen, zerreißen, wieder anfangen, fühlte sie jedesmal die Unzulänglichkeit ihrer Rolle als Frau, wie sie sie bei keiner anderen Gelegenheit fühlte, und kehrte dankbar zum Gedanken an Hugh Whitbread zurück, der - niemand konnte daran zweifeln - über die Kunst verfügte, Briefe an die Times zu schreiben." - S. 108


Besonders gefallen hat mir, dass Woolf auch auf die Kriegsheimkehrer aufmerksam macht. In Form des Septimus Smith wird deutlich, was ein Krieg, und die Erlebnisse an der Front, wenn man einen Freund, oder Kameraden vor seinen Augen sterben sieht, mit einem macht. Man kann am Anfang vielleicht stark sein, wird die Vergangenheit aber nicht verarbeitet, holt sie einen irgendwann ein. Septimus leidet an einer Geisteskrankheit, bei der die Psychiater die falschen Schlüsse Ziehen, und sich nicht die Mühe machen, herauszufinden, was denn die Gründe für diese Krankheit sein könnten.
- Vielen Heimkehrern ging es damals so nach dem 1. Weltkrieg. Vielen geht es auch heute noch so, denn Krieg ist gegenwärtig.


Die Abendgesellschaft steht im Mittelpunkt von diesem schönen Juni-Tag. Aber auch die ganzen unausgesprochenen Gefühle drücken die Stimmung im Roman. Es gibt so vieles zu sagen, doch viele wagen es nicht, ihre Gedanken laut auszusprechen. Die Kommunikation funktioniert nicht, findet oft gar nicht statt. Deshalb gibt es auch viele Missverständnisse. Virginia Woolf hat einen tollen Schreibstil. Wenn man einmal in die Geschichte gezogen wurde, findet man nur schwer wieder aus den Buchzeilen heraus. Woolf gibt uns einen guten Einblick der verschiedensten Persönlichkeiten, die in den 20er Jahren aufeinander treffen. Dabei hebt sie vor allem die vom Mann abhängige, mittelklasse-Hausfrau hervor, deren einzige Sorge die Planung von Abendgesellschaften ist.



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Genre: Roman
Verlag: Fischer Taschenbuch Verlag
Seiten: 205
Preis: € 9,20 (A) , € 8,95 (D)
ISBN: 978-3-596-14002-2

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